Vom 7. bis 9. Juni 2024 fand das erste Präsenztreffen des Bundesnetzwerks Tram statt. Das Bundesnetzwerk ist ein regelmäßig, jedoch bisher nur online tagender Kreis aus verschiedenen Intiativen zum Aufbau oder zur Erweiterung von Straßenbahnnetzen in deutschen Städten sowie Linie Plus als überregionale Sammlung vieler Straßenbahnvorschläge.
Als Tagungsort wurde auf Initiative des in Erfurt wohnhaften Thorben von Linie Plus hin die Thüringer Landeshauptstadt gewählt. Neben der zentralen Lage in Deutschland besticht Erfurt auch durch einen gut funktionierenden Straßenbahnbetrieb mit einem dichten und wachsenden Netz und modernen Fahrzeugen. Somit durfte Thorben auch zwei Führungen organisieren.
Das Treffen begann am Freitag mit einer Straßenbahnführung im Linienverkehr durch den Erfurter Westen und Norden. Als Treffpunkt wurde die ehem. Kurmainzische Statthalterei gewählt, wo die Straßenbahn bereits seit 1884 (damals noch als Pferdebahn) verkehrt. Mit der Linie 4 ging es vorbei am Flughafen, einem der wenigen deutschen mit Straßenbahnanschluss, hinaus bis nach Bindersleben. Die Strecke wurde zu großen Teilen erst 2005 eröffnet und ist damit die zweitjüngste im Netz. Sie führt weniger durch Wohngebiete, sondern mehr über Wiesen und Felder und durch Büro- und Gewerbegebiet und zeigt, dass Straßenbahn auch Außenbezirke gut und zeitgemäß erschließen kann. Auffällig ist dabei neben der steilen Strecke die harmonische Einbettung ins Landschaftsbild.
Weiter ging es über Domplatz, Klinikum, Rieth zur Salinenstraße. Hierbei wurde auch die jüngste Straßenbahnstrecke befahren, welche einen Lückenschluss zwischen den Nordästen der Straßenbahn darstellt und heute nicht mehr wegzudenken ist. Der wortwörtliche Höhepunkt war die Fahrt über die Brücke über den Nordbahnhof aus den 90er-Jahren und weiter zum Zoopark. Auf dem Rückweg wurde die Buslinie 9 zum Hauptbahnhof genutzt, welche ein Vorbild für die Gestaltung von Vorrangschaltungen ist und bis Ende 2030 durch eine Straßenbahn ersetzt werden soll. Dabei haben wir auch erfolgreich noch Oberleitungsbefestigungen der früheren Strecke durch die Oststadt (1973 stillgelegt) entdeckt.
Regelmäßig stellten die Anwesenden fest, dass EVAG und Stadt Erfurt mit so einfachen wie intelligenten Lösungen viele Schwierigkeiten der Straßenbahn bspw. hinsichtlich Verkehrsfluss, Stadtraumgestaltung, Barrierefreiheit oder Fahrgastinformation, gelöst haben und so die Straßenbahn zu einem schnellen und attraktiven Verkehrsmittel ausbauen konnten. Von den Zugereisten wurde dies „Erfurter Pragmatismus“ getauft, an dem sich viele andere Betriebe Beispiele nehmen können.
Am Samstag stand das Bundesnetzwerk selbst im Vordergrund. Die Anwesenden (Vetretungen aus Augsburg, Berlin, Bremen, Ludwigsburg, Lüneburg, Neckar-Alb, Osnabrück, München, Wiesbaden sowie Linie Plus, der Deutsche Bahnkundenverband und Verkehrsexperte Prof. Heiner Monheim), stellten ihre Intiativen vor und präsentierten auf Plakaten ihre Erfolge und Misserfolge. Es wurde viel diskutiert über die Ziele, Außendarstellung und Rolle des Netzwerks, über Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und die Frequenz der eigenen Treffen. Auch inhaltliche Diskussionen fanden ihren Platz, bspw. die Rolle und Schwachstellen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes bei der Umsetzung von Straßenbahnprojekten.
Das vielleicht wichtigste bei diesem Treffen waren jedoch die vielen Gespräche am Rande der Aktivitäten, ob bei den Straßenbahnfahrten, Stadtrundgängen oder beim gemeinsamen Speisen in der Erfurter Altstadt.
Am Rande wurde auch gefachsimpelt, welche Chancen wohl die Abstimmungen über die Weidereinführung von Straßen-/Stadtbahnen in Regensburg und Erlangen haben, welche parallel zur Europawahl stattfanden.
Am Sonntag fand für alle Interessierten noch eine Führung durch das Netz der Thüringerwald- und Straßenbahn Gotha statt. Hierfür ging es zunächst mit der Eisenbahn von Erfurt mit Umstieg in Fröttstädt nach Waltershausen, einer 12.000 Einwohner starken Stadt mit eigener Straßenbahnlinie, die erst 1971 noch eine Neubaustrecke erhielt. Über Bad Tabarz führte die Reise nach Gotha, dort noch mit Abstecher zum Ostbahnhof, womit das ganze Netz abgefahren wurde. Auch wenn die TWSB bisher kein Vorbild für modernen Nahverkehr darstellt, wurde deutlich, dass Überlandstraßenbahnen keineswegs ohne Zukunft sein müssen, auch wenn ein Neubau einer solchen heute undenkbar erscheint.
Ich bedanke mich bei allen Angereisten für das große Interesse an den Führungen und freue mich sehr, dass sie so unerwartet grandios angekommen sind.